Wie kritische Bloggerinnen mundtot gemacht werden.

Gerade eben haben ich auf Facebook den Artikel von Amelie geteilt, doch je mehr Minuten verstreichen, desto größer wird der Kloß in meinem Hals, der sich formte, als ich den Beitrag las. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: eine Medienschaffende, in diesem Fall Bloggerin, wurde aus einer Fashion Week Show geschmissen, weil sie sich zuvor negativ äußerte.

Ein kurzes Recap für alle, die nicht im Bilde sind: Fashion Weeks finden pro Saison ein mal statt, also zwei mal pro Jahr. In Berlin findet die Fashion Week meist im Januar und Juli statt. Bei der letzten Fashion Week verfasste Amelie vom Blog amazed mag einen kritischen Post zur Fashion Week, in dem sie Folgendes schrieb:

“Marina Hoermanseder zeigt seit wenigen Saisons auf der Berliner Modewoche und hat sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen gemacht. Ihre Designs sind neu, ihr Markenzeichen klar und ihre Schnitttechniken innovativ und aufwendig. All das bekomme ich bei jener Show nicht mit. Schuld daran? Die Special Row, die nicht mehr nur Front Row, sondern mittig auf dem Catwalk platziert ist. Da sitzen Menschen, die man kennen sollte. Zum Beispiel die Cathy Hummels und die Johanna Klum, dann ein weiterer Moderator, den ich noch nie gesehen habe (vermutlich Viva – gibt es Viva noch?) und ein Sänger von Culcha Candela, wie mir bei intensiver Recherche im Nachhinein klar wurde. Intensive Recherche deshalb, weil er es sich breitbeinig auf der Bank gemütlich macht, einen riesigen Rucksack neben sich auf dem Laufsteg ablegt, eine neonfarbene Kette trägt, eine Cargo Hose und irgendwelche Schuhe. Das ist alles okay, wenn ich auf dem Melt 2010 feiern gehe, aber das ist nicht okay, wenn ich auf eine Fashionshow gehe. Sein Outfit ist scheiße, aber das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist, dass dieser Mensch das Paradebeispiel für unwichtige Z-Promis ist, die sich zweimal im Jahr mit einer arroganten Haltung vorstellen dürfen, wie es wäre, wenn. Er sitzt also da, grinsend, zu der Musik wippend und zieht innerlich die Models aus, die an ihm vorbei gehen und ihren Job machen. Er kann dabei nicht mal seinen Mund halten, sondern ruft unpassende Kommentare in die Runde wie „Wow!“ oder „Yeah!“, oder sieht gelegentlich mal einem Model hinterher, das einen kurzen Rock trägt, in der Hoffnung, ein bisschen Hintern abzubekommen. Er findet es wohl HAMMA, wie sie sich bewegt in dem Outfit.”

Resumierend schreibt Amelie: “Ich wünsche mir eine Fashion Week, auf der keiner sagt, dass die Shows unwichtiger wären als die Events. Auf der mehr Leute ihren Job machen und wissen, wofür sie da sind.”

Klar, der Text ist sarkastisch geschrieben, aber ich sehe an der Kritik eine Berechtigung, denn sollten Modewochen nicht für Menschen da sein, die beruflich auch tatsächlich was mit Mode zu tun haben? Die einen gewissen Informationsgehalt in die Welt hinaus tragen und fundiert über Designer und deren Schaffen berichten? Doch lasst uns ein halbes Jahr vorspulen, in den Jänner 2017, wo die Fashion Week in Berlin wieder stattfindet. Amelie, die seit vielen Jahren bloggt, im Modebusiness (inzwischen als Buyerin) tätig ist, wurde zur Show von Marina Hörmanseder eingeladen, sagt zu und wird dann am Tag der Show nicht reingelassen und somit ausgeladen. Grund dafür: ihr Artikel im Juli 2016.

Ich selbst war zuletzt vor einem Jahr auf meiner letzten Fashion Week, ging aber nur zur Show von Lavera, wo nachhaltige Designer zeigten. Grundsätzlich gehe ich auf keine Modewochen mehr, denn ganz abgesehen davon, dass sich das Ganze zu artifiziell für mich anfühlt und ich schlichtweg keine reine Modebloggerin bin (ergo, keine wirkliche Daseinsberechtigung bei einem reinen Modevent habe, weil ich mich Nüsse auskenne), bin ich überfordert von all den Reizen, die bei solchen Events auf mich einprasseln. Fashion Weeks sind nix für sensible Menschen, das habe ich sehr schnell für mich rausgefunden und somit aufgehört, diese Events zu besuchen. Doch je öfter ich Amelies Geschichte durch meinen Kopf gehen lasse, desto wütender werde ich. Da wird eine Bloggerin, weil sie einen sehr offensichtlichen, traurigen Umstand, kommentiert, rausgeschmissen. Liebesentzug. Ab ins Out mit dir.

Ob es die Anweisung der Designerin selbst oder ihrer Agentur war, kann ich nicht beurteilen. Nichtsdestotrotz habe ich bei den Frauen hinter amazed nachgefragt und mir wurde bestätigt, dass man sich für die Geschehnisse noch nicht entschuldigt oder Statement bezogen hat. Deswegen meine berechtigte Frage: Was ist die Aufgabe einer PR Agentur?

Die Aufgabe einer PR Agentur ist Öffentlichkeitsarbeit. Sprich: die Repräsentation des Designers/Labels/Unternehmens nach Außen, das Management der Kommunikation mit Gruppen, die relevant sind (JournalistInnen, BloggerInnen, etc.). Ich begann 2010 mit dem Bloggen und wusste damals nicht, was eine PR Agentur ist. Inzwischen kenne ich die meisten und größten PR Agenturen und habe schnell gelernt “wie der Hase läuft”. In PR Agenturen arbeiten vorrangig Frauen (zumindest im Mode- und Lifestylesektor), man bekommt täglich Presseaussendungen in Form von Mail- oder Briefpost und ab und zu (gefragt oder ungefragte) Produktaussendungen per Post. Als Medienschaffende hat man eine sehr enge Beziehung zu PR Agenturen, denn diese versorgen einen mit Infos, Neuheiten, ohne sie könnte man die eigene Arbeit nicht verrichten. Ich bin PR Agenturen unheimlich dankbar, weil sie mir meine Recherche und Arbeit unheimlich erleichtern. Aus dem Freundeskreis weiß ich, wie hart PR Arbeit ist. Man ist “everybodies bitch”, denn JournalistInnen und BloggerInnen können wir Babies sein, die man babysitten muss. Sie fragen viel zu spät um Information an, die sie dann aber sofort haben möchten (am Besten schon gestern!), bei Events muss man sie an der Hand nehmen, nett und höflich sein, egal ob einem das eigene Kind in der Früh ins Bett gekotzt oder man sich am Vorabend mit dem Liebsten gestritten hat. Man muss immer schön sein, lächeln, stets zu ihren Diensten. PR ist kein einfacher Job und noch dazu wird man meistens scheiße bezahlt.

Auf der anderen Seite profitieren PR Agenturen von einem Abhängigkeitsverhältnis, das mir schon früh unangenehm aufgefallen ist. Wie bereits in meinem Ted Talk erwähnt, passiert das meistens so: man wird umgarnt, es werden einem Produkte gratis geschickt, den meisten Teil der Zeit wird es nicht ausgesprochen, aber: PR Agenturen erwarten sich eine Gegenleistung. Irgendwo klar: sie machen ihre Arbeit nicht für Jux und Tollerei, es geht am Ende des Tages, neben dem hübschen Lächeln und freundlichen Gesprächen bei Prosecco um Eines: Business. Es geht darum, dass man positiv über das vertretene Label/Unternehmen lesen möchte, am liebsten in einem reichweitenstarken Medium. PR Agenturen haben oft mit Kritik zu tun, denn bei einem seriösen Medium, arbeiten seriöse Medienschaffende, die selbst entscheiden, ob sie positiv oder negativ berichterstatten. Was daraus geworden ist? Lies weiter.

Geworden daraus ist Folgendes: man entledigt sich derer, die sich in einer Prosecco-Welt trauen, Kritik zu üben und differenziert denken. Ist vermutlich auch wesentlich angenehmer, sich nur mit jenen InfluencerInnen zu beschäftigen, die spuren und so Bericht erstatten, wie man sich das wünscht. Wozu das schlussendlich führt? Dazu, dass BloggerInnen sich niemals ihres Stigmas, nämlich gekauft, unauthentisch und unreflektiert zu sein, entledigen können. Denn es werden genau die Influencer eingeladen, hofiert und vor allem für Kooperationen herangezogen, die intransparent arbeiten, keine ehrliche Meinung haben und sich, banal ausgedrückt, kaufen lassen.

Es hat lange gedauert, bis ich mich getraut habe, kritischer zu sein und ich arbeite Tag für Tag daran. Denn man pflegt mit den Menschen, die bei PR Agenturen arbeiten, sehr engen Kontakt, der oft schon freundschaftliche Züge annimmt. Ich habe meine jetzige Agentin de facto kennengelernt, weil sie PR für kleine Labels in Wien gemacht hat und ich mir dachte “damn, du bist mir sympathisch und deine Arbeit machst du verdammt gut.” Die Art der Kommunikation auf PR-Ebene ist sehr persönlich, man ist meist automatisch per “Du” und natürlich möchte man jemanden, mit dem man sich gut versteht, nicht vor den Kopf stoßen. Ich selbst habe solche Situationen schon zig mal erlebt: ich äußere mich negativ über ein Produkt oder Umstand, bekomme daraufhin ein E-Mail der PR-Verantwortlichen, das sehr gut zeigt, wie irrational diese Geschäftsbeziehung (!) eigentlich ist. “Ich fühlte mich von deinem Kommentar persönlich getroffen” las ich einmal und genau hier liegt doch der Hund begraben: wenn sich PR Agenturen und DesignerInnen bei negativer Kritik persönlich verletzt fühlen, was für einen Sinn hat das Ganze überhaupt? Muss ich in die Medien gehen, um meine dysfunktionale Vater-Tochter Beziehung neu aufleben zu lassen? “Madeleine, ich bin dir nicht böse, ich bin bloß enttäuscht.”

Als Medienschaffende wird man von PR Agenturen hofiert, egal ob JournalistIn oder BloggerIn, denn so seriös wie viele Printmedien und unseriös viele BloggerInnen sind, niemand ist hier päpstlicher als der Papst. Als ich vor Jahren zu Chanel Events eingeflogen wurde, habe ich mir den Flug und Unterkunft genau so wenig selbst bezahlt, wie die anwesenden JorunalistInnen. Unabhängig sind wir alle nicht, aber das ist bis zu einem gewissen Grad okay, denn wir sind keine christlichen MissionarInnen oder KriegsberichterstatterInnen,  sondern Teil des oberflächlichen Lifestyle-Zirkusses. Was aber nicht okay ist: eine Auslese zu betreiben, die kritische Stimmen isoliert, weil sie schlichtweg unbequem sind. Das mögen die KritikerInnen selbst nicht, genau so wenig mögen es die LeserInnen diverser Medien. Denn wenn wir uns ehrlich sind: banales product placement ist bis zu einer gewissen, transparenten Umsetzung tolerierbar (mache ich ja selbst auch), aber was gibt es Schöneres als die Amplituden, positiv aber auch negativ, der Medienwelt zu verfolgen? Wer möchte schon einem glattpolierten Medium folgen, das mit Beitrag zu Beitrag an Glaubwürdigkeit verliert? Es mag ein kurzfristiger Erfolg sein, nur mit Ja-SagerInnen zusammenzuarbeiten, aber langfristig bedeutet es, dass man mit Medien und Menschen zusammen arbeitet, die in ein paar Jahren niemand mehr Ernst nimmt.

Mein Wunsch? Dass PR Agenturen sich der Unbequemlichkeit aussetzen, so scheiße ihr Job auch ist (ich würde nicht tauschen wollen und habe höchsten Respekt) und BloggerInnen sich trauen, Nein zu sagen, wenn sie ein Produkt bekommen, über das sie eigentlich nicht schreiben wollen oder schlecht finden und kritisieren, wenn sie es für notwendig und berechtigt halten. Sich gegenseitig verletzen, enttäuschen und anderer Meinung sein wird man immer, that’s life baby.