ONE DAY BABY WE’LL BE OLD

dass facebook eine zeitvernichtungsmaschine ist, wissen wir inzwischen alle. wie heißen sie noch alle? das new yorker devil baby, bitstrips, rip paul walker, menschen die nicht wirklich wissen wer nelson mandela war, 24 hours of happy, was hat larissa wieder im dschungelcamp ausgefressen usw. usf. gewöhnlich klicke ich all diese dinge nicht an, da mich weder horror babies noch das dschungelcamp sonderlich faszinieren. einen beitrag habe ich jedoch angeklickt. nicht weil es mit “dieses video könnte ihr leben ändern” betitelt war, sondern weil es einfach jeder verdammte mensch in meiner freundesliste und sogar armin wolf gepostet hat. wem das video noch unbekannt ist, dem will ich es (ganz subjektiv) so beschreiben: eine schüchterne studentin (julia engelmann) begibt sich im hörsaal an’s mikrofon, stammelt die ersten textzeilen von wankelmuts “one day” hinein und legt anschließend ein sang-gedicht (ich glaube so würde es meine oma beschreiben) über die vergänglichkeit der jugend und die passivität junger menschen hin. verändert hat das video mein leben bestimmt nicht, zumal mir diese youtube hypes immer einen touch zu kitschig und romantisiert sind. doch die essenz des “slams” ist durchaus ein thema mit dem ich mich schon lange beschäftige.

als ich noch in mailand lebte durfte ich einmal zu einem vortrag von einem meiner großen vorbilder, oliviero toscani, gehen. den meisten von euch sagt der name vermutlich nichts, doch ihr alle (zumindest in meinem alter oder älter) kennt ihn von den berühmten benetton werbungen, die er fast 20 jahre lang shootete und in denen er themen wie homosexualität, rassismus oder aids interpretierte. es waren die ersten webreplakate für ein modeunternehmen auf dem nicht mal das produkt zu sehen war. abgesehen davon, dass sich benetton nach jahrelanger arbeit von ihm distanzierte weil er eine kampagne gegen die todesstrafe in den vereinigten staaten produzierte, wurde es in folge auch zu einem der blutrünstigten modeunternehmen weltweit (siehe rana plaza). long story short: toscani ist ein mensch, der soziale themen nicht unagetastet lässt. keine frage: er verdient geld damit. aber er nutzt sein talent und stimme in der werbung um das publikum auf soziale themen zu sensibilisieren.

an einem punkt im vortrag, den ich nur wenige meter von ihm entfernt mithören durfte, wurde er sehr ernst. “ihr seid alt” – schrie er uns studenten an. “ich bin ein alter mann, ich darf zuhause sitzen und bingo spielen. ich blicke auf ein leben voller taten zurück, ich kann geschichten erzählen und sicher sein, dass ich die dinge die auf meiner ‘to do liste’ standen erledigt habe. und ihr? ihr sitzt vor euren smartphones, beschwert euch über alles in euren perfekten leben und wartet eigentlich nur darauf alt zu sein.”

und er sprach mir aus der seele. wie oft ertappe ich mich: seit monaten schiebe ich dieses projekt vor mich hin, welches ich schon so lange realisieren will. seit wochen spreche ich davon endlich mal immanuel kant zu lesen. seit jahren nehme ich mir vor südamerika zu bereisen. und dann? dann kommt immer etwas dazwischen… heute abend könnte ich das buch endlich anfangen, aber egal, eine runde candy crush geht noch. später könnte ich endlich meine steuererklärung machen, wobei ich schau lieber nochmal schnell bei facebook rein. morgen könnte ich anfangen mich sozial zu engagieren, aber verdammt ich bin doch so müde. vielleicht auch wieder mal was online bestellen?

wir sind die generation “ich weiß nicht”. ich kenne sehr viele junge menschen in meinem alter deren antwort auf jede frage im bezug auf ihr leben “ich weiß nicht” lautet. wir wissen nicht was wir werden wollen, wir wissen nicht was wir vom leben wollen, wir wissen nicht wer wir sind. ab und zu lodert da ein kleines “ach ich würde so gerne mal eine weltreise machen” oder “wie toll wäre es wenn ich mich etwas weiterbilden würde” auf. und dann finden wir uns alle in dem sumpf der prokrastination wieder. später, morgen, irgendwann. einerseits warten wir nur darauf zu altern, füllen unser leben mit den oben genannten zeitvernichtungsmaschinen, andererseits wollen wir für immer jung bleiben. anti-aging, mein absolutes hasswort. es ist ein privileg zu altern. die alternative zu aging ist nicht anti-aging sondern jung sterben und das wollen, die meisten zumindest, doch nicht.

wir sind also junge alte, die sich einerseits mit händen und füßen dagegen wehren alt und erwachsen zu werden und andererseits die tatkraft eines menschen haben, der bereits am lebensende steht. wieviele menschen kenne ich, die mir ständig davon erzählen was sie in ihrem leben nicht gerne machen wollen, welche ideale sie verfolgen. doch dann ist das “im konjunktiv sprechen” der einfachere weg.

wie lange wollte ich schon den be***issenen moderiesen den rücken kehren, dieser wut, die seit jahren in mir lodert, endlich ausdruck verleihen. und ja, es war einfacher jahrelang zu zara, forever21 und co. zu rennen und einen modeblog zu schreiben, der schön allglatt, schön wie alle anderen ist. angebote von firmen anzunehmen die eben gut bezahlen, aber dafür 12 jährige kinder produzieren lassen. auch wenn diese umstellung nicht leicht war, angefangen von den negativen kommentaren, hin zum finanziellen verlust durch kooperationen die ich abgesagt habe über zur privaten umstellung und der “schwierigkeit” (wir sprechen hier von einem luxusproblem) wo ich nun meine sachen kaufe. doch im endeffekt war es die befreiendste und schönste entscheidung die ich in den letzten jahren getroffen habe. ich bin mit mir im frieden und weiß einen der vielen punkte auf meiner “to do liste” abgehakt zu haben.

ich bin 25 und seit einigen monaten selbstständig. klar, es ist nicht leicht. klar, es macht mir angst. doch ich kämpfe mich lieber durch diese selbstständigkeit, die ich mir ausgesucht habe und in der ich ein glücklicher mensch bin, als jeden tag in ein büro zu gehen und mir soviel frust anzufressen bis ich einen tumor bekomme. ich bin jung, ich bin gesund, ich lebe in einem land in dem bildung, sozialwesen und sicherheit auf höchstem standard sind – mir stehen alle möglichkeiten offen. natürlich gibt es finanzielle barrieren, auch ich habe keinen goldesel zuhause oder eltern mit managergehältern. dieser “mir fehlt das geld dazu” ist eine ausrede fauler, junger menschen wie wir es sind. willst du einen film machen? bewirb dich um förderungen. willst du eine reise machen? spare und reise günstig. willst du einen anderen beruf ergreifen? fang an dich zu bewerben. träumst du davon einen blog zu schreiben? schreib ihn! gibt es nicht zumindest eine sache, diese eine sache in deinem kopf, die du schon ewig realisieren willst? DANN TU ES.

ich weiß dass candy crush wirklich unterhaltsam (ich bin bei level 80) und dass die instyle leichter zu lesen als der fette literaturwälzer ist. doch worauf willst du in 10, 20, 30, 40, 50 jahren zurückblicken? auf ein leben voller facebook, smartphone und abende an denen du soviel gesoffen hast, dass du am nächsten tag sowieso nur vor dich hin vegetierst? du bist jung, du hast zwei arme, zwei beine und ein hirn. doch noch wichtiger: du hast ein herz. und auch wenn dies viel kitschiger als der slam des oben beschriebenen videos ist: höre auf dein herz. tu was du schon so lange willst, erkunde, erfahre, realisiere, lebe, reagiere. veränderung kann in jeder sekunde passieren, man muss nur damit anfangen.

um es mit den worten von simone de beauvoir zu sagen, die ich so sehr bewundere:

“change your life today. don’t gamble on the future, act now, without delay.”

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