HEUTE IST EIN DRITTEL MEINES LEBENS VORBEI.

DariadariaDasLebenIstKurz

Heute werde ich 27. Das heißt, ich habe bereits 9855 Tage gelebt. Durchschnittlich werden Menschen 75 Jahre alt, das entspricht 28.000 Tagen. Ich bin 27 und laut Statistik habe ich bereits ein Drittel meines Lebens hinter mir. Vielleicht weniger, vielleicht mehr. Aber bleiben wir statistisch. Ein Drittel.

Ich möchte euch nicht Angst machen, aber spätestens nach Tim Urbans Ted Talk, der mindestens so witzig wie aufrüttelnd ist, wurde mir klar: das Leben ist kurz. Verdammt kurz. In seinem Life Calendar, der das Leben großzügig mit 90 Jahren (entspricht 32.850 Tagen) bemisst, steht ein Kästchen für eine Woche des eigenen Lebens. Und jedem, der diesen Life Calendar sieht, wird klar: das sind nicht so viele Kästchen.

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“You only live once, but if you do it right, once is enough.” Oft habe ich das Gefühl, wir realisieren nicht, dass es kein zweites, drittes, viertes Leben geben wird. Es gibt nur dieses eine Leben. Und trotzdem weilen so viele Menschen unter uns, die Tag für Tag ihre Wünsche und Bedürfnisse hinaus schieben. So lange, bis sie registrieren, dass es zu spät ist.

Wir führen Beziehungen, die wir emotional schon längst beendet haben. Wir trennen uns jahrelang nicht, weil wir uns dem Auseinandergehen nicht stellen wollen. Wir verbringen die schönsten Jahre unseres Lebens in Jobs, die uns Tag für Tag mehr ankotzen. Wir verbringen 5 Tage die Woche damit uns auf die 2 Tage zu freuen, an denen wir das tun können, was uns Spaß macht. Wir beschweren uns über zu wenig Zeit für die Dinge, die wir lieben. Wir trauen uns so oft nicht ins kalte Wasser zu springen, obwohl wir nichts zu verlieren haben. Wir hetzen einer Karriere nach, weil Familie oder Gesellschaft uns von klein auf indoktriniert haben, dass mehr Geld in mehr Zufriedenheit resultiert. Wir nehmen diese Rechnung für Bares, schuften, sind überarbeitet, ausgelaugt, müde und stellen irgendwann fest: diese Rechnung geht nicht auf.

“Lebe jeden Tag, als wäre es dein Letzter” und danach kommt immer das “Aber”. Wir finden zig Erklärungen und Ausreden, wieso wir unser Leben nicht in die Hand nehmen. Ein Beispiel: kürzlich habe ich auf meiner Facebook Seite Fotos gepostet, die beschreiben, dass ich kein Shampoo mehr verwende und warum ich das tue. Ich habe daraufhin mit vielen Menschen gesprochen, die zig Gründe finden, wieso sie ohne Shampoo angeblich nicht leben können (“8 Wochen Umstellung, das ist ja ewig”, “ich kenne niemanden, der mir Kaffeesatz geben könnte”, “nein also bei mir funktioniert das bestimmt nicht”). Mir ist es blunznwurscht wie sich jemand die Haare wäscht, aber ich finde, dass die Personen, die sagen “ich fände es cool ABER” genau das beschreiben, was ich hier sagen möchte. Denn wer bei so kleinen Lebensumstellungen, die wirklich nichtig sind, schon so viele Ausreden und “wenn” und “abers” findet, obwohl er oder sie die Idee ganz cool fände, der wird dieses Verhalten auch bei Themen mit größerer Tragweite an den Tag legen. Ich hätte mir tausend Ausreden zurecht legen können, wieso es dumm wäre, aus einem Hobby einen Beruf zu machen. Ich war 22, ohne Kohle, kurz vorm abgeschlossenen Studium, ohne Aussicht auf einen Job. Aber: ich habe es einfach probiert, denn zu verlieren gibt es selten was.

Und die, die nicht “Aber” rufen, schreien “Luxusproblem!”. Stimmt, die meisten Menschen, die das Glück haben auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, haben diesen Luxus, den viele andere Menschen nicht haben. Und gerade weil wir so viele Möglichkeiten haben, frage ich mich: wieso nehmen wir sie nicht wahr?

Es gibt Programme für Krebspatienten, die nur noch 18 Monate zu leben haben. Bei diesem Programm teilt man sein Leben zuerst in Kategorien wie Lebensaufgabe, Ernährung, Bewegung und widmet dann je 3 Monate zur Umsetzung eines Ziels für jede Kategorie. Zweck ist es ohne Druck und auf realistische Art und Weise Ziele und Bedürfnisse umzusetzen, denn oft fühlen wir uns mit dem “Leben umkrempeln” überfordert.

Doch müssen wir erst sterbenskrank werden, um zu merken, dass unsere Zeit auf der Welt kostbar ist? Müssen wir erst von einer Bekannten hören, die mit 19 ums Leben gekommen ist, um zu realisieren, dass jeder Tag der Letzte sein kann? Und müssen wir erst einen Lebenskalender mit vielen, aber irgendwie doch nicht so vielen, kleinen Kästchen vor Augen geführt bekommen, um festzustellen, dass das Leben begrenzt ist?

Ich poste täglich Fotos von mir auf Reisen. Nicht, weil ich die coolste Socke am Bloggerplaneten sein möchte und auch nicht, weil ich will, dass sich jemand beklemmt und schlecht fühlt, wenn er sich diese Fotos auf der Couch Zuhause ansieht. Ich poste meine Abenteuer um euch zu motivieren, um euch an der Hand zu nehmen und zu sagen: es ist alles möglich, man muss nur anfangen sich zu trauen und anfangen das eigene Leben schrittweise zu ändern. Hört auf Leute um ihr Leben zu beneiden, sondern lebt euer eigenes. Man muss verinnerlichen, dass es keine Gesetze gibt, wie man sein Leben zu leben hat, auch wenn die Gesellschaft uns Gegenteiliges vorgaukelt.

Wenn ich mir etwas zum Geburtstag  wünschen darf, dann ist es, dass du dich heute hinsetzt und einen Zettel in die Hand nimmst. Schreibe auf, was du gerne machst, schreibe auf, was dich erfüllt, schreibe auf, wovon oder von wem du dich trennen möchtest. Schreibe auf, was dein Ziel ist, was du gerne auf der Welt ändern würdest. Und dann setze deine Träume um, Schritt für Schritt. Klar, du musst realistisch bleiben. Du wirst keine Harry Potter Zaubertricks können, so sehr du dich auch anstrengst. Sei ehrlich zu dir selbst.

Es ist okay, studiert zu haben und eigentlich lieber eine Lehre machen zu wollen. Es ist okay, sich nach sieben Jahren zu trennen. Es ist okay, Pilot werden zu wollen. Es ist okay, einen gut bezahlten Job für einen schlecht bezahlten Job hinzuschmeißen. Es ist okay, täglich einen Anzug zu tragen, wenn man das geil findet. Es ist okay mit Dreißig so unsicher zu sein wie mit Sechzehn.

Heute ist, statistisch gesehen, mehr als ein Drittel meines Lebens vorbei. Ob mir das Angst macht? Nein! Es ist drastisch ausgedrückt und natürlich ist nicht jeder Tag in meinem Leben aufregend, sagenhaft und picture-perfect. Alles andere wäre eine Lüge. Ich bin oft unsicher, traurig, faul. Ich habe oft Angst, ich fühle mich oft überfordert, ich schiebe wichtige Entscheidungen oft hinaus. Aber wenn ich eines mit 27 gelernt habe, dann ist es: sei mutig, vielleicht sogar etwas übermutig, mit einer gesunden Portion Naivität. Warte nicht, denn das Leben wartet nicht auf dich.

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Photos: Andrea Cislaghi

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